Mitten in dem Dorf Wespen, etwa zwanzig
Kilometer südlich von Magdeburg, gibt es auf
einem kleinen Hügel die alte
Schrotholzkirche des Dorfes. Sie verdankt
ihren Namen den markanten hölzernen
Eck-Konstruktionen, die in Osteuropa und
Österreich als „Schrot“ bezeichnet werden.
Und aus Osteuropa, genauer aus Böhmen, kamen
auch ihre Erbauer. Es waren sogenannte
Exulanten, die ihre Heimat ab 1620 wegen
ihres Glaubens verlassen mussten, nachdem
die katholische Liga unter Tilly in jenem
Jahr am Weißen Berge bei Prag den
protestantischen König Friedrich V. von
Böhmen besiegt und damit die
Rekatholisierung des Landes begründet hatte.
Der damalige Regent Herzog August gewährte
hier, bei Barby, den böhmischen Exulanten
1669 Aufnahme und ließ sie den Ort neu
besiedeln. Wann ihre Dorfkirche genau fertig
war, wissen wir nicht. Bei den 1991
begonnenen Notsicherungsmaßnahmen fand man
einen Stein mit der Jahreszahl 1690. Und
eine Trauung ist für 1688 belegt, so dass
die Schrotholzkirche zu diesem Zeitpunkt
zumindest in ihrer äußeren Hülle existiert
haben muss. An einem Ständer im Inneren der
Kirche ist ebenfalls die Jahreszahl 1688 zu
lesen.
Auf einem Sockel aus Bruchsteinen
errichteten die Exulanten ihre rechteckige
Kirche in Blockbauweise. Die Fugen zwischen
den bis zu 50 Zentimeter dicken halbierten
Rundstämmen aus Kiefernholz verstrichen sie
mit Kalkmörtel und später mit Lehm. Die
Kirche erhielt ein Walmdach und einen
verbretterten Turm. Die östlich angebaute
Sakristei ist vermutlich jüngeren Datums.
Nach Hochwasserkatastrophen der Jahre
1784/85 und Mitte des 19. Jahrhunderts ist
die Kirche saniert worden. Pläne für einen
Neubau, die in den zwanziger Jahren des
vorigen
Jahrhunderts aufkamen und vermuten lassen,
dass das Gebäude baufällig geworden war,
sind nicht verwirklicht worden. Bei einem
Fliegerangriff wurde die Kirche 1941
erheblich beschädigt, aber drei Jahre später
wiederhergestellt. Eine letzte umfangreiche
Sanierung gab es 1968. Damals trug man
allerdings einen zu dichten Zementputz auf
die Blockkonstruktion auf. Dies verhinderte
den Feuchtigkeitsaustausch und führte
schließlich zur Bildung von Hausschwamm.
Schon lange vor der letzten Sanierung war
der westliche Sockel zusammengebrochen. Zu
sehen war dies an dem immer schiefer
werdenden Kirchturm. Weil er schließlich
einzustürzen drohte, musste die Kirche 1986
gesperrt werden.
Da die Deutsche Stiftung Denkmalschutz 1991
und 1992 für die ersten
Notsicherungsmaßnahmen insgesamt 290.000
Mark bereitstellte, konnte der drohende
Einsturz verhindert werden. Die Wespener
Schrotholzkirche ist heute in Deutschland
vermutlich einzigartig. Sie wurde daher 1991
zu einem vom Bundesforschungsministerium
unterstützten Modellprojekt des Deutschen
Zentrums für Handwerk und Denkmalpflege.
Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz
beteiligte sich seit 1991 an den
umfangreichen Sicherungs- und
Sanierungsmaßnahmen mit insgesamt rund
750.000 Mark. Die Stiftung „muss an erster
Stelle genannt werden in der Liste derer,
die die endgültige Ruinierung dieser Kirche
verhindert haben“, schrieb Pfarrer Ernst
Neugebauer in seiner Einladung zur
Wiedereinweihung der Schrotholzkirche, die
am 29. Juni 1997 stattfand. Seither können
die Wespener ihre außergewöhnliche Kirche
wieder für Gottesdienste nutzen.
Von dem ursprünglich barocken Altar ist nur
noch der Altaraufsatz erhalten. Der
achtseitige Taufstein stammt aus der
Spätgotik. Die Gemeinde erhielt erst 1848
eine Orgel, die vom Orgelmeister Schön aus
Staßfurt erbaut wurde. Bei einem
Bombenangriff im II. Weltkrieg erlitt die
Kirche große Schaden. Die völlig zerstörte
Orgel wurde nach dem Krieg durch ein
Harmonium ersetzt.
Inzwischen besitzt die Kirche seit 2002 eine
neue Orgel, die aus der Werkstatt des
niederländischen, in Landsberg in Bayern
wohnhaften, Orgelbauer Piet Kabaut stammt.
Eine Empore wurde im Jahr 2003 neu
eingezogen um v.a. den zahlreichen
Konzertbesuchern in dieser Kirche genügend
Platz zu bieten.
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